Gerollte Kanten direkt anweben

In einer Veröffentlichung (1) über Textilfunde aus der Nordischen Eisenzeit in Dänemark habe ich die Beschreibung eines Kleides gefunden, das in seiner Machart einem Aksu aus Südamerika ähnelt. Es handelt sich um ein Schlauchkleid (wie ein griechischer Peplos, nur ohne Überschlag oben), welches an den Schultern durch Nadeln oder kleine Nähte zusammengehalten und mit einem Gürtel getragen wird.

Replik des Kleides von Hammerum, Dänemark
Aymara-Weberin mit Aksu; Isluga, Chile; Foto: P. Dransart

Das Kleid aus Dänemark hat angenähte Abschlüsse aus gewebten Bändern, deren blaue Kante auf einer Seite eingerollt ist. Das hat nicht nur eine zierende Funktion sondern sorgt auch dafür, daß sich beanspruchte Bereiche des Gewebes nicht so schnell auflösen, z.B. am Saum oder an den Ärmelenden.

Kettripsband aus Hammerum mit 20 Fäden

Neben diesem Band mit eingerollter Kante hat man aus der Nordischen Eisenzeit auch Reste von größeren Textilien mit schlauchförmiger Kante gefunden. Das hat bei den damals verbreiteten Köpergeweben den Vorteil, daß die sonst etwas „flattrige“ Kante stabilisiert und gefestigt wird. Heute webt man bei Köpern auf dem Trittwebstuhl oft eine ebene Kante in Leinenbindung, braucht dazu aber mindestens 4 Schäfte. Diese Methode war in Skandinavien schon in der vorrömischen Eisenzeit bekannt, das läßt sich auch auf einem der damals verwendeten Gewichts- oder Rundwebstühle machen. Es gibt in Dänemark einen Fund eines Schals (Huldremose), bei dem die leinenbindige Kante an einem Köpergewebe dazu noch gerollt wurde (2).

Die einfarbigen Kanten eines Bandes beim Weben einzurollen ist nicht schwierig. In dem Bereich, der schlauchförmig werden soll, muß der Schußfaden immer von derselben Seite eingelegt werden. Also habe ich es ausprobiert, dazu hat das Band zwei blaue Seiten bekommen, da ich es später als Armband verwenden möchte. In den zwei Bildern unten sieht man einen Übergang von der rundgewebten Kante zu flachen Rändern, hier sollen später die Verschußklammern des Armbandes hin.

Hier die Vorlage für den Einzug des Bandes:

Band mit 30 Fäden ähnlich dem Hammerum-Band

In welche Richtung man das Band beim Weben rollt, hängt ein bißchen davon ab, welche Seite man später als Sichtseite haben möchte, da sich der Schußfaden meist nicht vollständig verbergen läßt. Wenn man das trotzdem versucht, zieht man oft zu fest am Schußfaden, die Kante wird zwar schön rund und der Faden ist weg, das Band wird aber auch immer schmaler 😉 .

Bänder mit nach oben oder nach unten gerolltem Rand

Also fängt man einfach mal an zu weben und zieht den linken Rand des Bandes nach oben rund:

Der Schußfaden ist links, also das Litzenfach öffnen

Randfäden separieren und Schußfaden von innen nach außen einlegen

Schußfaden oben über die Randfäden führen und in das Fach rechts davon einlegen; der Rand rollt sich so nach oben ein

Schußfaden leicht anziehen, Fach wechseln und noch einmal nachziehen

Schußfaden in das nun geöffnete Fach einfach einlegen; weiter wie oben

Das Ganze geht auch, wenn über den Rand ein Muster läuft, z.B. ein kleines Kettenmuster, was sehr einfach ist, wenn man für ein pebble-weave-Muster in der Mitte des Bandes sowieso schon zwei Musterlitzen hat. Da braucht man nichts extra einlesen.

Bei diesem Band sieht man aber auch, was passiert, wenn man zu fest am Schußfaden zieht. Das Muster in der Mitte sieht sehr gestreckt aus, die verwendete nachgezwirnte Acrylwolle ist störrisch und macht es nicht besser.

Irgendwo habe ich schon gelesen, daß es die einfarbigen, direkt angewebten schlauchförmigen Gewebekanten auch bei traditionellen Textilien aus Südamerika gibt, allerdings nur an wenigen Orten. Wo genau das ist, muß ich noch herausbekommen.

Normalerweise werden zur Verstärkung und Verzierung von Gewebekanten bei traditionellen südamerikanischen Kettripsgeweben Bänder nach dem Weben um die Kante angenäht oder rund gezogene Bänder nachträglich mit einer extra Kette angewebt. Solche gerundeten Kanten sind, neben einfarbigen Ausführungen, gemustert, z.B. mit Ñawi Awapa oder Chichilla.

Ñawi Awapa faßt die Kanten ein und hält die Tasche zusammen
Tasche mit nachträglich angewebter Kante, das Muster heißt „chinka-chinka“

Sollte es funktionieren, z.B. Chichilla direkt anzuweben und warum macht man das dann nicht dort, wo es herkommt? Das wollte ich wissen!

Einer der Gründe, warum man die Kante in Südamerika nicht gleich mitwebt, ist, daß sie bei Tragetüchern und Ponchos einmal um das ganze Stück herumgeht, möglichst ohne Unterbrechung. Die Gewebekante des Tuchs wird dabei im Band eingeschlossen. Taschen kann man mit einer solchen Randverzierung an der Seite zusammennähen, das geht auch nicht gleich beim Weben.

Aber bei einem Gürtel könnte es gehen. Also habe ich eine Kette gemacht, der Bequemlichkeit halber mit Chichilla-Rändern, da dieses Muster mit Litzen gewebt wird.

Das Band hat zwei rundgewebte Randbereiche mit Chichilla-Muster, Mittelteil ca. 9 cm breit

Der Anfang war nicht einfach! Ich habe mit einem Schußfaden angefangen zu weben und natürlich erst einmal zu stark gezogen. Das sah nicht schön aus und so kam ich auf den Gedanken, die Kanten mit einem zweiten Schußfaden unabhängig von der Mitte des Bandes zu weben. Wenn man die Kanten mit diesem Faden gefühlvoll etwas schärfer anzieht, damit sie sich runden, beeinflußt man damit nicht so sehr das Band in der Mitte. Man braucht aber einige Zeit, ehe man das richtige Maß raus hat.

Bis jetzt gibt es noch keine Probleme mit unterschiedlicher Spannung der Kettfäden an den Rändern und in der Mitte. Ich denke, zum Ende des Bandes hin kann das noch auftreten, dort erwarte ich, das die Randfäden weniger Spannung haben als der Rest, da durch sie nur ein Schußfaden verläuft. Aber das läßt sich lösen.

(1) Ulla Mannering & Lise Ræder Knudsen: Hammerum: The Find of the Century, NESAT XI, Verlag Marie Leidorf GmbH 2013

(2) Margarete Hald: Ancient Danish Textiles from Bogs and Burials, National Museum of Denmark, Aarhus University Press 1980

Der Fisch im Band – und mehr in drei Farben

Die Kette mit dem Fisch lag schon eine ganze Zeit im Schrank herum. Das Ziel, dieses Motiv in drei Farben sowohl in der einseitigen als auch in der doppelseitigen Technik zu weben war erreicht, also weg damit um etwas neues zu lernen und anzufangen! Das geht mir öfter so und später ärgere ich mich über die vielen angefangenen Projekte, die irgendwann bis nie fertig werden, spätestens dann, wenn ich merke, daß nun wirklich alle Stäbe zum Weben belegt sind.

Der Fisch ist mir wieder in die Hände gekommen, als Laverne in ihrem Blog angekündigt hat, auch wieder einmal etwas in der dreifarbigen Technik zu weben. Dazu kam, daß ich neben der Beschreibung und einem Bild des Motivs in einem Artikel der Publikation „Experimentelle Archäologie in Europa – Bilanz 2011“ (1) das Inventarbuch der Sammlung der Uni Erlangen im Internet gefunden habe, in dem das Textilfragment mit dem Fischmotiv katalogisiert ist. Die Angaben dort sind dürftig, das Stück wurde aus einer Privatsammlung übernommen.

Ausschnitt Inventarbuch Sammlung Erlangen

Ausschnitt aus dem Inventarbuch der Sammlung Erlangen

Im Original ist das Motiv mit naturfarbener Baumwolle gewebt und hat 48 Musterfäden. Damit sitzt es unsymmetrisch im Musterbereich und ist an den Rändern etwas verkürzt, für mein Band habe ich es mit 56 Musterfäden symmetrisch gemacht.

Fischmotiv AE 654 Sammlung Erlangen

Bildquelle: (1)

Auf dem Bild oben kann man gut erkennen, um welche Mustertechnik es sich handelt, da auch die Rückseite des Gewebes fotografiert ist. Es ist die einseitige dreifarbige Technik, die verhältnismäßig einfach zu lernen ist, wenn man die Komplementärtechnik mit zwei Farben weben kann. Die ersten beiden Fischmotive in meinem Band sind in dieser Technik gewebt. Wie man das macht, steht im Buch (2) von Cason/Cahlander auf Seite 104.

Eine der komplexesten Webtechniken im vorspanischen Peru“ wie die Experimentalarchäologen aus Erlangen diese Art Muster zu weben genannt haben, ist es jedoch mit Sicherheit nicht, sondern die einfachste der Reselektionstechniken, bei der kein Unterfach gebildet werden muß.Komplexe Doppelgewebe mit mehr als vier Farben gab es in Südamerika schon weit vor den Inkas, einige Beispiele finden sich in (3).

Fisch dreifarbig Vorderseite

Vorderseite

Fisch dreifarbig Rückseite

Rückseite

Die doppelseitige Ausführung dieses Musters in drei Farben erfordert einen erheblichen Mehraufwand an Arbeitszeit und ist gegenüber einem echten Doppelgewebe mit vier Farben und eindeutig festgelegten Komplementärpaaren auf beiden Seiten in der Ausführung ziemlich knifflig, vor allem die richtige Farbe der „outline“ des Musters auf der Rückseite. Auch dazu steht die Beschreibung in (2), Seite 108. Die beiden Motive in der Mitte des Bandes sind doppelseitig, hierzu ist ein zweiter Schußfaden nötig.

Einfacher zu weben als die Pebble-weave-Muster mit Outline sind meiner Meinung nach doppelseitige dreifarbige Muster in „2/1 uneven twill with complementary warps“, also einem Kettripsmuster, das einen Hell-Dunkel-Kontrast der komplementären Musterfäden ähnlich eines Köpers 2/1 hat. Diese Muster findet man in Bolivien, ein prächtiges Exemplar aus Tinkipaya zeigt folgendes Bild:

Tinkipaya aksu

Bildquelle: Chungará (Arica) vol.51 no.2 Arica jun. 2019

Jeder der Farbstreifen im Bild oben hat um die zwanzig Musterfäden, insgesamt also für das Hauptmotiv ca. 300! Das wollte ich mir zu Anfang natürlich nicht antun, also habe ich erst einmal nur einen kleinen Ausschnitt mit 20 Musterfäden angefangen. Das zweifarbige Grundmuster ist aus dem Buch „More Adventures with warp-faced pick-up patterns“ von Laverne Waddington, die Anleitung, wie man das dreifarbig webt, steht wiederum in (2), Seite 110ff.

Rhomben dreifarbig Vorderseite

Vorderseite

Rhomben dreifarbig Rückseite

Rückseite

Durch die diagonalen Farbverläufe muß man bei der Aufnahme der Fäden für das Gegenfach nicht ganz so aufpassen wie bei dreifarbigem Pebble-weave mit Outline. Es werden aus den zwei „working colors“ (hier blau und rot) entlang der diagonalen Motivgrenzen Farben nur flächenhaft für die jeweiligen Motive auf Ober- und Unterseite des Gewebes ausgewählt.

Mit dem ständigen Gedanken im Hintergrund, was auf der Rückseite des Gewebes zu sehen sein wird, verläßt man die in Europa übliche zweidimensionale Sicht auf ein Textil bzw. nur dessen „schöne“ Seite und kommt der Sichtweise der indigenen Weber in den Anden näher, die ein textiles Objekt als dreidimensional ansehen. Nicht nur Vorder- und Rückseite werden betrachtet, sondern auch die Stärke und Dichte des Gewebes und dessen Ränder, was einen Rückschluss auf die verwendete Technik zuläßt. In Südamerika, speziell in Bolivien, diskutiert man dieses Thema unter Museumsfachleuten gerade. (5)

Wer käme hier auf den Gedanken, z.B. einen Wandteppich in einem Museum so auszustellen, daß man alle Seiten betrachten kann? Aus konservatorischen Gründen ist das sicher nicht für alle textilen Objekte möglich, interessant wäre es auf jeden Fall, gerade für Stücke, bei denen die Ansicht der Rückseite wichtig ist, um die entsprechende Webtechnik zuordnen zu können und um zu sehen, wie sorgfältig der Weber gearbeitet hat – oder auch nicht. Viele Textilmuseen im englischsprachigen Bereich haben umfangreiche Fotoserien ihrer Depotbestände ins Internet gestellt, die Rückseite der Gewebe sieht man dort jedoch nur sehr selten. Eine Ausnahme macht das Britische Museum in London mit interessanten Stücken wie dem dreifarbigen Pelikanmotiv im interlocking-style aus der Zeit der Chancay-Kultur in Peru, hier sind beide Seiten fotografiert und man kann sehen, daß das Motiv in der einseitigen Technik, wie der Fisch aus der Sammlung in Erlangen, gewebt ist.

Das Motiv hat 120 Musterfäden und mir juckt es gewaltig in den Fingern, das einmal nachzuweben. Der Webbrief ist fertig, das Garn dazu habe ich auch schon mit natürlichen Farbstoffen gefärbt und eine Probe mit einem kleinen Pelikanmotiv gewebt. Zur Zeit spinne ich die Wolle für die braune Grundfarbe, davon habe ich leider nur 50g, mal sehen, ob das für ein kleines quadratisches Tuch reicht.

Webbrief Chancay gross

Pelikane im interlocking-style dreifarbiges Motiv

Garn Naturfarben

Mit Naturfarbstoffen gefärbtes Wollgarn Nm5

Pelikane dreifarbig Vorderseite quer

dreifarbiges Band mit 16 Musterfäden

Das Band mit den Pelikanen, so schmal wie es ist, hat mir sehr viel Spaß gemacht. Das schwarz-weiße Grundmuster vom Webbrief so abzulesen, daß für das Motiv die Farben getauscht werden, es gedreht und gespiegelt wird, beschäftigt den Grips, das ist viel schöner, als auf dem Webstuhl mit egal wie viel Schäften einfach nur mechanisch geradeaus zu weben. 🙂

Zum Schluß noch die Quellenangaben zum Weiterlesen und ein Link zur Sammlung des Britischen Museums:

(1) Experimentelle Archäologie in Europa Bilanz 2011; Isensee Verlag Oldenburg; 2011; Artikel: Claudia Merthen „Wie kommt der Fisch ins Band? Zur Rekonstruktion eines Gewebes aus Alt-Peru“ S.219 ff

https://www.pfahlbauten.de/forschungsinstitut/documents/FrankBoth-ExperimentalleArchaologieinEuropeHeft10-klein.pdf

(2) The Art of Bolivian Highland Weaving; Marjorie Cason und Adele Cahlander; Watson-Guptill Publications; 1976

(3) Double-woven treasures from Old Peru; Adele Cahlander und Suzanne Baizerman; Dos Tejedoras St. Paul Minnesota; 1985

(4) Sammlung des Britischen Museums London; Objekt Am1948, 6.08

https://www.britishmuseum.org/collection/object/E_Am1948-06-8 

(5) Artikel in La Tinta, Cordóba, Argentinien

https://latinta.com.ar/2019/09/saberes-tejedoras/