Königlicher Purpur – ganz profan gefärbt

6,6′-Dibromindigo.

Das ist die nüchterne wissenschaftliche Bezeichnung eines Farbstoffs, der in antiker Zeit Symbol von Macht und Reichtum war. Gewonnen wurde er in einem langwierigen Verfahren aus Purpurschnecken, die rund um das Mittelmeer vorkommen und wegen der intensiven Nutzung fast ausgerottet wurden. Die verschiedenen Arten der Purpurschnecken färben nicht alle gleich, der reine Farbton des mit Indigo verwandten Farbstoffs kann mit der Naturfärbung nicht erreicht werden.

Bildquelle: Wikipedia; Naturhistorisches Museum Wien

Vor einiger Zeit habe ich mich mit einem Freund, der Chemiker ist, über Naturfarbstoffe unterhalten. Es ging erst um natürlichen Indigo und seine manchmal grottenschlechte Qualität, dann kamen wir auf Purpur zu sprechen. Er meinte, diesen könnte man synthetisch herstellen und er wollte das einmal versuchen, da man eine Vorstufe des Farbstoffs kaufen kann, was die Sache vereinfacht. Die Herstellung war erfolgreich, wir wollten es zusammen ausprobieren und mit einer kleinen Menge Purpur bei mir in der Küche etwas Wolle färben. Da ich schon öfter mit Indigo gefärbt habe, war ich natürlich sehr neugierig, ob das einfache Küpenverfahren mit handelsüblichem Entfärber auch bei synthetischem Purpur funktioniert.

synthetischer Purpur auf Wolle und Seide 120/2

Wie auf dem Bild oben zu sehen ist, geht das, die Färbungen sind mit 0,5g Purpur und 2g Entfärber in ca. 1,5l Wasser bei 60°C gemacht worden. Als wir das erste Mal die gelblich gefärbte Wolle aus den Farbbad geholt haben und die Farbe durch die Oxidation an der Luft nach Purpur umschlug, haben wir uns sehr gefreut und ich bin unserem Freund sehr dankbar, daß er dieses Experiment ermöglicht hat!

Er möchte gern mehr von diesem Farbstoff herstellen und sucht Abnehmer dafür. Eine billige Chemiefarbe ist synthetischer Purpur allerdings nicht, die Herstellung im Labor macht einen zeitlichen Aufwand, die notwendigen Chemikalien sind auch nicht ganz preiswert. Textilrestauratoren und erfahrene Färberinnen könnten sich dafür interessieren, bei Bedarf stelle ich gern den Kontakt her.

Hexenküche

Im März war bei uns ein ziemlicher Sturm, der viele dürre Äste von den Bäumen geholt hat. Auf den Ästen waren zahlreiche Gelbflechten, die sich zum Färben eignen. Diese Flechten sind in den letzten Jahren immer mehr geworden, normalerweise wachsen sie in der Nähe von stark gedüngten Flächen, Jauchegruben o.ä., da sie  Ammoniak aus der Luft aufnehmen und das ihr Wachstum fördert. Die Landwirtschaft alleine scheint es jedoch nicht zu sein, man findet die Gelbflechte auch in großen Mengen an stark befahrenen Straßen, warum, darüber sollte man mal nachdenken. 

Gelbflechte (Xanthoria parietina) Quelle: Wikipedia

Der Pilz in den Gelbflechten produziert den Farbstoff Parietin, um sich damit vor zu viel UV-Licht zu schützen. Je stärker die Flechte der Sonne ausgesetzt ist, umso mehr von diesem  gelblichen Farbstoff ist vorhanden.   Auf Wolle mit  Alaunbeize bei neutralem pH-Wert macht diese Substanz das, was man von einem Anthrachinonfarbstoff erwartet: er färbt ungefähr die Farbe, die er selbst hat, gelb-braun. Langweilig, oder, dafür braucht man keine Flechten mühsam vom Ast kratzen sondern kann  Faulbaumrinde oder den Kiefernporling nehmen!  Mit einer Fermentation in Salmiakgeist und einer anschließenden Kaltfärbung der ungebeizten Wolle in dieser übelriechenden Brühe wird es allerdings magisch: die Gelbflechte färbt pink und blau! Geduld muß man dafür allerdings aufbringen, der Färbeprozeß dauert mindesten 8 Wochen. (1)

Von den abgefallenen Ästen an einer eher schattigen Stelle habe ich eine große Handvoll Flechten abgekratzt und in einem halben Liter Salmiakgeist (9%) bei Raumtemperatur, aber im Dunkeln 6 Wochen lang zur Fermentation angesetzt. Die Flüssigkeit nimmt dabei eine weinrote Farbe an. Nachdem ich die Flüssigkeit von den Flechten abgegossen hatte (draußen, es stinkt heftig nach Ammoniak!), habe ich 10 g nasse Wolle in diese Färbebrühe hineingelegt und im Dunkeln weitere 2 Wochen stehen gelassen. Nach dieser Zeit wurde die Wolle herausgeholt und gründlich ausgespült. Nach dem Spülen war die Wolle in nassem Zustand dunkelrosa. Den größeren Teil davon habe ich im Dunkeln getrocknet, ca. ein Drittel aber naß im Garten ins helle Sonnenlicht gelegt. Die Wolle im Licht fing sofort an, ähnlich wie eine Indigofärbung zu verblauen, sie wurde erst hell, als wollte die Farbe verschwinden, dann blau. Die im Dunkeln getrocknete Wolle blieb rosa.  

Mit Gelbflechte gefärbte Wolle, links im Dunkeln getrocknet, rechts im Hellen

Die Farben auf der Wolle sind ziemlich blaß geworden. Man benötigt offensichtlich eine ganze Menge Flechten, um dunklere Farbtöne zu erzielen. Wenn wieder genug von den Bäumen geworfen wird, was in der darauf folgenden Zeit  dann eh verfaulen würde, werde ich den Versuch mit mehr Material wiederholen. Einfach irgendwo runterholen will ich die Flechten nicht, mal davon abgesehen, daß sie unter Naturschutz stehen, sie brauchen Jahre zum Wachsen und die Waldbewohner wollen vielleicht auch etwas davon. 

Das Wetter war dieses Frühjahr kalt und naß, also macht man seine Experimente eben auch in der Küche. In einem Text über „Lost Crops of the Incas“  (2) war mir eine bittere Lupinenart aufgefallen, die tolerant gegen schlechte Böden und Trockenheit ist, ihr eigenes Pflanzenschutzmittel produziert und die man mit spezieller Behandlung eßbar machen kann. Schlechter steiniger Boden und trocken, das ist genau das, was ich hier rings ums Haus habe. 

Andenlupine (Lupinus mutabilis) Quelle: Wikipedia

Die Andenlupine (Lupinus mutabilis), Quechua: Tarwi, in Ecuador: Chocho,  ist eine alte Kulturpflanze aus dem Hochland von Peru und Bolivien, die in vorspanischer Zeit dort weit verbreitet war. Sie ist durch die zeitraubende Prozedur zum Entfernen der Bitterstoffe lange in Vergessenheit geraten, wurde aber in den letzten Jahren wegen ihren hohen Eiweiß- und Fettgehalts in den Samen als einheimische Alternative zu Soja in einigen südamerikanischen Ländern regelrecht „gehypt“. 

Samen der Andenlupine

Die Samen der Tarwi gab es in Deutschland lange nur in spezialisierten Gärtnereien 10 Stück zu teuren Preisen, nicht jedoch in Mengen um sie essen zu können. Dieses Jahr habe ich sie gefunden, gleich ein halbes Kilo (hier). Erstaunlich im Land der Vollkaskomentalität und des Kindergartenniveaus für Konsumenten, die unbehandelten Samen sind gallebitter und giftig, sie enthalten das Alkaloid Spartein, was einen ordentlichen Herzkasper verursachen kann. Der deutschsprachige Aufkleber auf der Packung führt potentielle Köche in die Irre, da steht: über Nacht einweichen und 20 min kochen. Das wird garantiert nichts, man spuckt es beim Probieren gleich wieder aus. Nach dem Kochen kommt die eigentliche Arbeit: die wasserlöslichen Bitterstoffe müssen erst ausgeschwemmt werden. Solange die Tarwi noch bitter sind (Geschmacksprobe: einen Samen zerkauen und am hinteren Zungenrand probieren), sind sie nicht genießbar. 

Da ich nicht glaubte, daß man hierzulande den Leuten unbehandelte Tarwi als Lebensmittel verkaufen darf, habe ich probiert, ob die Samen noch keimen. Das taten sie in feuchtem Küchenpapier auf dem Heizkörper schnell und zuverlässig, die gekeimten Samen habe ich eingepflanzt und als sie groß genug waren in den Garten gesetzt. 

Tarwi-Jungpflanze

Dann habe ich im Internet recherchiert, wie man Tarwis richtig entbittert. Nach einer Anleitung von einer Hausfrau aus Ecuador geht das so: 

1. Tag: Tarwis wie Linsen oder Bohnen über Nacht einweichen

2. Tag: das Einweichwasser wegschütten, Tarwis mit frischem Wasser 0,75 bis  1 h kochen, sie bleiben fest und zerfallen nicht

das Kochwasser wegschütten (oder abkühlen lassen und damit Pflanzen gegen Blattläuse, weiße Fliegen o.ä.  spritzen)

Tarwis mit reichlich frischem Wasser aufgießen, Wasser im Laufe des Tages mehrfach wechseln

3.-5- Tag: dreimal täglich Tarwis durchspülen, das Einweichwasser wechseln und probieren, ob die Samen noch bitter schmecken s.o.

sind die Bitterstoffe raus, können die Samen gegessen werden

Es hat gut funktioniert, die gekochten und entbitterten Tarwis haben eine feste Konsistenz ähnlich wie das Innere von rohen Zuckererbsen und schmecken ein bißchen wie ungekochte Erbsen oder Saubohnen. Man kann damit einen einfachen Salat machen, Cebiche de Chochos, dazu braucht man noch Limettensaft, scharfe Chili, Tomaten, Zwiebeln, Salz und etwas Öl. 

Cebiche de Chochos Quelle: Wikipedia

Nach meiner Erfahrung sind die Tarwis im Salat bekömmlicher als Linsen oder Bohnen, sie haben nicht die berüchtigten Nachwirkungen… 😉

Es gibt im Internet einige Rezeptbücher (auf Spanisch) für die Verwendung der Tarwi-Samen, man kann damit alles machen, was mit europäischen Süßlupinen oder Kichererbsen auch geht: Hummus, glutenfreier Teig für Kuchen, Kekse  und Pizza, Eis, Salate, Eintöpfe und vieles  mehr. 

Ob die Pflanzen hier Ertrag bringen, werde ich im Herbst sehen, es soll je nach Herkunft des Saatgutes erhebliche Unterschiede geben, wie lange es von der Aussaat bis zur Samenreife braucht. Laut Packung sind meine Tarwis aus Peru, wenn sie aus dem kühlen Andenhochland kommen, könnte es gehen.

 

Photo by Los Muertos Crew on Pexels.com

Gewebt habe ich auch etwas, diesmal ohne Muster, mir war nicht danach. In Bolivien gibt es Taschen (ursprünglich für Kokablätter), in denen eine oder mehrere kleine Taschen gleich mit eingewebt sind. Dazu muß man den Teil der Kette länger machen, wo später die zusätzliche Tasche ist. Das ganze ist im Buch von A. Cahlander ausführlich beschrieben (3). 

Normalerweise werden diese Taschen auf einem Horizontalwebgerät (four-stake ground loom) oder auf einem Anlehnewebstuhl hergestellt, da man für die Verlängerung der Kette, die später die kleine integrierte Tasche bildet, zeitweise einen zweiten oberen Kettbaum braucht. Auf einem backstrap-loom muß man sich was einfallen lassen. Die beiden oberen Kettbäume mit Stricken zusammenzubinden wäre eine Möglichkeit, das verrutscht aber gern und es ist schwierig, auf beiden Seiten den gleichen Abstand der Stäbe voneinander einzustellen. Ich habe mir aus Sperrholz zwei Abstandshalter gebaut, die straff auf die oberen Kettbäume passen. Die Kette habe ich direkt auf die Stäbe geschärt, die auf einem Lattengestell festgebunden waren und gleich auf diesem Gestell den unteren Kettbaum mit der Anfangsschnur angebracht. 

Abstandshalter zwischen den oberen Kettbäumen, Mittelteil schon angewebt

Man webt die ganze Kette ein Stück an (ca. 5 cm) und macht dann mit dem Stück in der Mitte weiter, wo die Tasche entstehen soll. Das wird so lang gewebt, wie der Abstand zwischen den oberen Kettbäumen ist, in meinem Fall 15 cm. 

das Mittelteil wird 15 cm lang separat gewebt

Ist man damit fertig, entfernt man die Abstandshalter und den äußeren der zwei oberen Kettbäume. Dann faltet  man das eben gewebte Teil für die Tasche in der Mitte, zieht es zum unteren Kettbaum und näht es dort mit Heftstichen fest. Der obere Kettbaum hält dann alle Schlaufen der Kette und hat noch keine Anfangsschnur, diese wird jetzt angebracht und die Tasche von der Gegenseite einige cm angewebt. Dann dreht man das Webgerät wieder herum und webt von der Oberkante der gefalteten kleinen Tasche die Kette mit Litzenstab und Rolle komplett ab bis es damit nicht mehr geht.

Zum Ende hin wird die Fachrolle langsam zu groß…
…und durch eine kleinere Rolle ausgetauscht

Es bleiben ungefähr 5 cm Kette übrig, die man mit Nadelweben schließen muß. Dazu entfernt man Litzen und Fachrolle, zieht den Schußfaden doppelt auf eine Nadel und schließt mit viel Geduld die Lücke. In einem Durchgang legt man den immer zwei Schußfäden in das gerade aufgenommene Fach, einen oben und einen unten jeweils an die schon gewebten Teile. Damit das Gewebe in der Lücke nicht zu lose wird, drückt man den Schußfaden gut an. 

Zunächst kann man noch den Einlesestab benutzen
die vorletzte Reihe
und die letzte Reihe, hier liegt der Schußfaden doppelt

Das fertig gewebte Stück hat vier feste Seiten, die Tasche habe ich mit einer einfarbigen rundgezogenen Webkante (ribete) zusammengenäht und die Stellen, an denen sich die Anfangsschnuren befinden, damit eingefaßt. Die Seiten der kleinen Tasche sind mit einem Nadelbindestich (cross-knit loop stitch; koptischer oder Tarim-Stich)   geschlossen. 

Fertige Tasche

Hier noch etwas zum Weiterlesen:

(1)   Färben mit Pflanzen

  Dorit Berger

  Ökobuch-Verlag 2006

(2) Lost Crops of the Incas 

Little-Known Plants of the Andes with Promise for Worldwide Cultivation 

National Academy Press
Washington. D.C. 1989

(3) The Art of Bolivian Highland Weaving

Adele Cahlander & Marjorie Cason

Watson-Guptill Publictions 1976

Der Fisch im Band – und mehr in drei Farben

Die Kette mit dem Fisch lag schon eine ganze Zeit im Schrank herum. Das Ziel, dieses Motiv in drei Farben sowohl in der einseitigen als auch in der doppelseitigen Technik zu weben war erreicht, also weg damit um etwas neues zu lernen und anzufangen! Das geht mir öfter so und später ärgere ich mich über die vielen angefangenen Projekte, die irgendwann bis nie fertig werden, spätestens dann, wenn ich merke, daß nun wirklich alle Stäbe zum Weben belegt sind.

Der Fisch ist mir wieder in die Hände gekommen, als Laverne in ihrem Blog angekündigt hat, auch wieder einmal etwas in der dreifarbigen Technik zu weben. Dazu kam, daß ich neben der Beschreibung und einem Bild des Motivs in einem Artikel der Publikation „Experimentelle Archäologie in Europa – Bilanz 2011“ (1) das Inventarbuch der Sammlung der Uni Erlangen im Internet gefunden habe, in dem das Textilfragment mit dem Fischmotiv katalogisiert ist. Die Angaben dort sind dürftig, das Stück wurde aus einer Privatsammlung übernommen.

Ausschnitt Inventarbuch Sammlung Erlangen

Ausschnitt aus dem Inventarbuch der Sammlung Erlangen

Im Original ist das Motiv mit naturfarbener Baumwolle gewebt und hat 48 Musterfäden. Damit sitzt es unsymmetrisch im Musterbereich und ist an den Rändern etwas verkürzt, für mein Band habe ich es mit 56 Musterfäden symmetrisch gemacht.

Fischmotiv AE 654 Sammlung Erlangen

Bildquelle: (1)

Auf dem Bild oben kann man gut erkennen, um welche Mustertechnik es sich handelt, da auch die Rückseite des Gewebes fotografiert ist. Es ist die einseitige dreifarbige Technik, die verhältnismäßig einfach zu lernen ist, wenn man die Komplementärtechnik mit zwei Farben weben kann. Die ersten beiden Fischmotive in meinem Band sind in dieser Technik gewebt. Wie man das macht, steht im Buch (2) von Cason/Cahlander auf Seite 104.

Eine der komplexesten Webtechniken im vorspanischen Peru“ wie die Experimentalarchäologen aus Erlangen diese Art Muster zu weben genannt haben, ist es jedoch mit Sicherheit nicht, sondern die einfachste der Reselektionstechniken, bei der kein Unterfach gebildet werden muß.Komplexe Doppelgewebe mit mehr als vier Farben gab es in Südamerika schon weit vor den Inkas, einige Beispiele finden sich in (3).

Fisch dreifarbig Vorderseite

Vorderseite

Fisch dreifarbig Rückseite

Rückseite

Die doppelseitige Ausführung dieses Musters in drei Farben erfordert einen erheblichen Mehraufwand an Arbeitszeit und ist gegenüber einem echten Doppelgewebe mit vier Farben und eindeutig festgelegten Komplementärpaaren auf beiden Seiten in der Ausführung ziemlich knifflig, vor allem die richtige Farbe der „outline“ des Musters auf der Rückseite. Auch dazu steht die Beschreibung in (2), Seite 108. Die beiden Motive in der Mitte des Bandes sind doppelseitig, hierzu ist ein zweiter Schußfaden nötig.

Einfacher zu weben als die Pebble-weave-Muster mit Outline sind meiner Meinung nach doppelseitige dreifarbige Muster in „2/1 uneven twill with complementary warps“, also einem Kettripsmuster, das einen Hell-Dunkel-Kontrast der komplementären Musterfäden ähnlich eines Köpers 2/1 hat. Diese Muster findet man in Bolivien, ein prächtiges Exemplar aus Tinkipaya zeigt folgendes Bild:

Tinkipaya aksu

Bildquelle: Chungará (Arica) vol.51 no.2 Arica jun. 2019

Jeder der Farbstreifen im Bild oben hat um die zwanzig Musterfäden, insgesamt also für das Hauptmotiv ca. 300! Das wollte ich mir zu Anfang natürlich nicht antun, also habe ich erst einmal nur einen kleinen Ausschnitt mit 20 Musterfäden angefangen. Das zweifarbige Grundmuster ist aus dem Buch „More Adventures with warp-faced pick-up patterns“ von Laverne Waddington, die Anleitung, wie man das dreifarbig webt, steht wiederum in (2), Seite 110ff.

Rhomben dreifarbig Vorderseite

Vorderseite

Rhomben dreifarbig Rückseite

Rückseite

Durch die diagonalen Farbverläufe muß man bei der Aufnahme der Fäden für das Gegenfach nicht ganz so aufpassen wie bei dreifarbigem Pebble-weave mit Outline. Es werden aus den zwei „working colors“ (hier blau und rot) entlang der diagonalen Motivgrenzen Farben nur flächenhaft für die jeweiligen Motive auf Ober- und Unterseite des Gewebes ausgewählt.

Mit dem ständigen Gedanken im Hintergrund, was auf der Rückseite des Gewebes zu sehen sein wird, verläßt man die in Europa übliche zweidimensionale Sicht auf ein Textil bzw. nur dessen „schöne“ Seite und kommt der Sichtweise der indigenen Weber in den Anden näher, die ein textiles Objekt als dreidimensional ansehen. Nicht nur Vorder- und Rückseite werden betrachtet, sondern auch die Stärke und Dichte des Gewebes und dessen Ränder, was einen Rückschluss auf die verwendete Technik zuläßt. In Südamerika, speziell in Bolivien, diskutiert man dieses Thema unter Museumsfachleuten gerade. (5)

Wer käme hier auf den Gedanken, z.B. einen Wandteppich in einem Museum so auszustellen, daß man alle Seiten betrachten kann? Aus konservatorischen Gründen ist das sicher nicht für alle textilen Objekte möglich, interessant wäre es auf jeden Fall, gerade für Stücke, bei denen die Ansicht der Rückseite wichtig ist, um die entsprechende Webtechnik zuordnen zu können und um zu sehen, wie sorgfältig der Weber gearbeitet hat – oder auch nicht. Viele Textilmuseen im englischsprachigen Bereich haben umfangreiche Fotoserien ihrer Depotbestände ins Internet gestellt, die Rückseite der Gewebe sieht man dort jedoch nur sehr selten. Eine Ausnahme macht das Britische Museum in London mit interessanten Stücken wie dem dreifarbigen Pelikanmotiv im interlocking-style aus der Zeit der Chancay-Kultur in Peru, hier sind beide Seiten fotografiert und man kann sehen, daß das Motiv in der einseitigen Technik, wie der Fisch aus der Sammlung in Erlangen, gewebt ist.

Das Motiv hat 120 Musterfäden und mir juckt es gewaltig in den Fingern, das einmal nachzuweben. Der Webbrief ist fertig, das Garn dazu habe ich auch schon mit natürlichen Farbstoffen gefärbt und eine Probe mit einem kleinen Pelikanmotiv gewebt. Zur Zeit spinne ich die Wolle für die braune Grundfarbe, davon habe ich leider nur 50g, mal sehen, ob das für ein kleines quadratisches Tuch reicht.

Webbrief Chancay gross

Pelikane im interlocking-style dreifarbiges Motiv

Garn Naturfarben

Mit Naturfarbstoffen gefärbtes Wollgarn Nm5

Pelikane dreifarbig Vorderseite quer

dreifarbiges Band mit 16 Musterfäden

Das Band mit den Pelikanen, so schmal wie es ist, hat mir sehr viel Spaß gemacht. Das schwarz-weiße Grundmuster vom Webbrief so abzulesen, daß für das Motiv die Farben getauscht werden, es gedreht und gespiegelt wird, beschäftigt den Grips, das ist viel schöner, als auf dem Webstuhl mit egal wie viel Schäften einfach nur mechanisch geradeaus zu weben. 🙂

Zum Schluß noch die Quellenangaben zum Weiterlesen und ein Link zur Sammlung des Britischen Museums:

(1) Experimentelle Archäologie in Europa Bilanz 2011; Isensee Verlag Oldenburg; 2011; Artikel: Claudia Merthen „Wie kommt der Fisch ins Band? Zur Rekonstruktion eines Gewebes aus Alt-Peru“ S.219 ff

https://www.pfahlbauten.de/forschungsinstitut/documents/FrankBoth-ExperimentalleArchaologieinEuropeHeft10-klein.pdf

(2) The Art of Bolivian Highland Weaving; Marjorie Cason und Adele Cahlander; Watson-Guptill Publications; 1976

(3) Double-woven treasures from Old Peru; Adele Cahlander und Suzanne Baizerman; Dos Tejedoras St. Paul Minnesota; 1985

(4) Sammlung des Britischen Museums London; Objekt Am1948, 6.08

https://www.britishmuseum.org/collection/object/E_Am1948-06-8 

(5) Artikel in La Tinta, Cordóba, Argentinien

https://latinta.com.ar/2019/09/saberes-tejedoras/

Färben mit Kermesbeeren

Die Indische Kermesbeere (Phytolacca acinosa) enthält wie der Amarant einen Betalain-Farbstoff. Also habe ich versucht, Wolle in einem mit Essigessenz angesäuerten Farbbad auf dieselbe Art wie mit Amarant zu färben. Dazu wurden die gesamten Fruchtstände mit Stielen in einem 10-l-Topf zerdrückt (der Boden war ca. fingerhoch bedeckt) und mit 5 l Wasser und 200g Essigessenz 25% aufgegossen. Die Wolle (Sockenwolle, superwash) kam ohne Vorbeize, lediglich angefeuchtet, mit den Pflanzenteilen 2 Tage ins Farbbad. Nachdem sich der Farbton nicht mehr änderte, habe ich die Wolle herausgenommen. Das Farbbad enthielt noch viel Farbstoff, so daß ich einen weiteren Versuch mit 100 g Corriedale-Kammzug machen konnte. Dafür wurden die Pflanzenteile abgeseiht und die 1 Stunde lang in einem 2,5%-igen Essig vorgebeizte Wolle kam wieder für 2 Tage in das Farbbad.

Färbung Kermesbeere

Im Bild oben sieht man die sehr unterschiedlichen Farbtöne, die der erste und zweite Zug ergeben haben.

Starkes Sonnenlicht mögen diese Färbungen überhaupt nicht.

Lichtechtheit Amarant und Kermesbeere

Die Lichtechtheitsprobe erfolgte an einem sonnigen Tag (UV-Index 4 bis 6) für 10 Stunden in voller Sonne. In den Proben im Bild oben sieht man jeweils links die der Sonne ausgesetzte Hälfte der Probe. Oben und links unten sind die Färbungen mit der Kermesbeere, rechts unten die mit Amarant. Die Farben verblassen deutlich, wenn sie dem Licht ausgesetzt werden, die Amarantfärbung bekommt zusätzlich einen Braunton, was aber auch daran liegen kann, daß sich der Farbstoff in der sommerlichen Wärme zersetzt hat.

Hier noch einmal im Vergleich die Färbungen mit Amarant (oben) und Kermesbeere:

Färbung Amarant und Kermesbeere

Da man diese Farbtöne mit entsprechender Einstellung des pH-Wertes und verschiedenen Vorbeizen auch mit Cochenille färben kann, die besser lichtecht ist, war das hier für mich lediglich ein interessantes Experiment. Wolle zum Weben, wo man viel Zeit hineinsteckt, sollte die Farben im Gebrauch schon einige Zeit halten können.