Versteckte Fäden – drei Farben, zwei Fächer Teil 1

Zugegeben, der Titel ist teilweise gemaust. „Hidden Threads of Peru“ heißt ein Buch von Ann Pollard Rowe und John Cohen (3), das sich mit den Textilien der abgelegenen Andengemeinde Q’ero in Peru beschäftigt. Die Autoren beziehen sich bei dem Titel ausdrücklich auf ein Merkmal der Mustertechnik aus Q’ero: nicht für das Muster gebrauchte Fäden werden unter Flottierungen versteckt. 

Es gibt in den Anden einige doppelseitige Mustertechniken mit drei Farben, die auf dem selben Prinzip beruhen wie die Gewebe aus Q’ero, allerdings werden bei diesen pro Reihe nicht alle drei Farben gleichzeitig verwendet, sondern nur zwei davon. Die dritte Farbe erscheint als Grundfarbe auf der Rückseite. 

Ein Band mit solchen Mustern webe ich gerade:

Die dreifarbige einseitige Webart „pebble-weave“, die von den Inkas verwendet wurde, beruht auf einem ähnlichen Prinzip wie die weiter unten beschriebene Technik, kann jedoch alle drei Farben in einer Reihe verwenden und soll hier nicht betrachtet werden. (1)

Tasche aus Pachacamac, Inka

Schon 1976 hat Adele Cahlander in ihrem Anleitungsbuch für Webtechniken aus Südamerika ((1), Band 4 zweifarbig und Band 20 dreifarbig) das Prinzip der gestuften Diagonalen beschrieben, mit dem sich komplementäre dreifarbige Muster mit nur 2 Schäften doppelseitig weben lassen. Diagonale Linien im Muster werden dabei nicht wie bei pebble-weave durch den einfachen Versatz von zwei nebeneinander liegenden Fäden derselben Farbe gebildet, sondern durch das Versetzen von über drei Reihen flottierenden Fadenpaaren einer Farbe. Klingt erst einmal kompliziert, ist es aber nicht, so sieht das aus:

Ann Pollard Rowe hat 1977 in ihrem Buch „Warp-Patterned Weaves of the Andes“ (2) eine Darstellung des Fadenlaufs der dreifarbigen Muster mit gestuften Diagonalen veröffentlicht, auf der zu sehen ist, wie die bei blauen Flottierungen gerade nicht gebrauchte dritte Farbe (hier rot) in jeder Reihe mit abgebunden wird. Damit „versteckt“ sich die im Beispiel nicht gebrauchte rote Farbe unter den Flottierungen von blau, sie bildet die Grundfarbe auf der Rückseite des Gewebes.

Umzeichnung der Darstellung aus (2) mit daneben liegendem Webbrief

In Peru, speziell in der weiteren Umgebung von Cusco, gibt es zahlreiche Motive mit drei Farben, die in dieser Technik gewebt werden. Sie sind eine Erfindung der neueren Zeit. Belege dafür, daß diese Technik schon in vorspanischer Zeit gewebt wurde, sind nicht vorhanden. Die Musterfarben wechseln blockweise, werden also nicht beide in einer Reihe verwendet. Das gilt auch dann, wenn das Muster revers gewebt wird, also Grund- und Musterfarbe vertauscht werden.

Wenn man das Weben dieser dreifarbigenMuster erlernen möchte, sollte man solide Kenntnisse in den zweifarbigen Komplementärtechniken haben, pebble-weave oder etwas gleichartiges also problemlos weben können.

Der Einzug für die zweischäftigen  Muster mit gestuften Diagonalen ist folgender: 

In einem Fach sind die Einzelfäden der Grundfarbe, im anderen Fach die Paare der Fäden für das Muster. Welches Fach man beim Gurtwebgerät in die Litzen einzieht und welches über die Rolle läuft, hängt von den Vorlieben der Weberin ab, es gibt keine feste Regel. Möchte man allerdings bei größeren Mustern und zahlreichen Horizontalen in einer Musterfarbe  die Paare noch einmal mit Litzen trennen, ist es besser, wenn das Fach mit den Musterfarben über die Rolle läuft. 

Jeweils ein Faden der Grundfarbe (hier grau) ist komplementär mit einem Fadenpaar der Musterfarben (hier blau und rot), entsprechend werden die Muster wie bei anderen solchen Techniken (z.B. pebble-weave) nach Webbrief eingelesen. 

Für das Weben mit gestuften Diagonalen in drei Farben gibt es spezielle Webbriefe, da die Technik des Einlesens nur alle zwei Reihen gleich ist. Hier ein Beispiel mit 34 Musterfäden:

Den Webbrief liest man so:

Reihen mit horizontaler Linie – Musterfarbenpaare oben

– egal welche Farbe das Muster im Webbrief hat, die Musterfarbe wird als Paar aufgenommen

– nimmt man eine Grundfarbe von unten auf, läßt man dafür nur den im Muster nicht verwendeten Farbfaden fallen, der Faden in der aktuellen Musterfarbe des Blocks bleibt zusammen mit dem heraufgeholten Faden der Grundfarbe oben

Reihen ohne horizontale Linie – Grundfarbe oben

– die Grundfarbe wird aufgenommen, wie sie erscheint

– die Musterfarbe wird als Einzelfaden der dargestellten Farbe von unten aufgenommen, die dazu komplementäre Grundfarbe wird fallengelassen, die zweite Musterfarbe bleibt unten

Ein kurzes Video zeigt das Einlesen in beiden Fächern:

Wechselt man im Muster zu einem Block mit der anderen Musterfarbe, im Video oben von rot nach blau, ist es zweckmäßig, einmal die gesamten Musterfäden der neuen Farbe auszulesen und nach oben zu ziehen, gut anzuschlagen und bis zum nächsten Fachwechsel einen Faden darunter zu legen. Im Video ist der Faden zu sehen. Das sorgt dafür, daß der Wechsel auf die neue Musterfarbe vollständig erfolgt und sich nicht eine Horizontale mit zwei Farben zugleich bildet. 

Auf diesem Foto ist zu sehen, wie man sich das durch zusätzliche Litzen für die Farbfäden leichter machen kann. Die zwei dafür erforderlichen Litzenstäbe sitzen direkt an der Fachrolle. Eine Schnur liegt zusätzlich unter der Farbe, die gerade verwendet wird und hält diese auf der Oberfläche.

Je nach verwendetem Material der Kette sieht man im Muster auch immer einmal die Farbe, die man eigentlich in diesem Block nicht wollte. Das kann an leichten Unterschieden in der Fadenspannung liegen oder daran, daß man die zwei nebeneinander liegenden verschiedenfarbigen Musterfäden miteinander verdreht hat. Auch wenn man die Farbe eines Blocks wechselt, kommt vor allem bei Baumwolle die andere Farbe mit hoch. Es ist eben kein Doppelgewebe. Betrachtet man das Muster aus einiger Entfernung, fallen solche kleinen Unregelmäßigkeiten kaum auf. 

Im zweiten Teil über die Dreifarbtechniken mit gestuften Diagonalen möchte ich dann zeigen, wie man die Muster aus Q’ero einzieht und webt. 

Hier noch etwas zum Weiterlesen:

(1) Marjorie Cason, Adele Cahlander: The Art of Bolivian Highland Weaving

(2) Ann Pollard Rowe : Warp-Patterned Weaves of the Andes

(3) Ann Pollard Rowe, John Cohen: Hidden Threads of Peru – Q’ero Textiles