Hexenküche

Im März war bei uns ein ziemlicher Sturm, der viele dürre Äste von den Bäumen geholt hat. Auf den Ästen waren zahlreiche Gelbflechten, die sich zum Färben eignen. Diese Flechten sind in den letzten Jahren immer mehr geworden, normalerweise wachsen sie in der Nähe von stark gedüngten Flächen, Jauchegruben o.ä., da sie  Ammoniak aus der Luft aufnehmen und das ihr Wachstum fördert. Die Landwirtschaft alleine scheint es jedoch nicht zu sein, man findet die Gelbflechte auch in großen Mengen an stark befahrenen Straßen, warum, darüber sollte man mal nachdenken. 

Gelbflechte (Xanthoria parietina) Quelle: Wikipedia

Der Pilz in den Gelbflechten produziert den Farbstoff Parietin, um sich damit vor zu viel UV-Licht zu schützen. Je stärker die Flechte der Sonne ausgesetzt ist, umso mehr von diesem  gelblichen Farbstoff ist vorhanden.   Auf Wolle mit  Alaunbeize bei neutralem pH-Wert macht diese Substanz das, was man von einem Anthrachinonfarbstoff erwartet: er färbt ungefähr die Farbe, die er selbst hat, gelb-braun. Langweilig, oder, dafür braucht man keine Flechten mühsam vom Ast kratzen sondern kann  Faulbaumrinde oder den Kiefernporling nehmen!  Mit einer Fermentation in Salmiakgeist und einer anschließenden Kaltfärbung der ungebeizten Wolle in dieser übelriechenden Brühe wird es allerdings magisch: die Gelbflechte färbt pink und blau! Geduld muß man dafür allerdings aufbringen, der Färbeprozeß dauert mindesten 8 Wochen. (1)

Von den abgefallenen Ästen an einer eher schattigen Stelle habe ich eine große Handvoll Flechten abgekratzt und in einem halben Liter Salmiakgeist (9%) bei Raumtemperatur, aber im Dunkeln 6 Wochen lang zur Fermentation angesetzt. Die Flüssigkeit nimmt dabei eine weinrote Farbe an. Nachdem ich die Flüssigkeit von den Flechten abgegossen hatte (draußen, es stinkt heftig nach Ammoniak!), habe ich 10 g nasse Wolle in diese Färbebrühe hineingelegt und im Dunkeln weitere 2 Wochen stehen gelassen. Nach dieser Zeit wurde die Wolle herausgeholt und gründlich ausgespült. Nach dem Spülen war die Wolle in nassem Zustand dunkelrosa. Den größeren Teil davon habe ich im Dunkeln getrocknet, ca. ein Drittel aber naß im Garten ins helle Sonnenlicht gelegt. Die Wolle im Licht fing sofort an, ähnlich wie eine Indigofärbung zu verblauen, sie wurde erst hell, als wollte die Farbe verschwinden, dann blau. Die im Dunkeln getrocknete Wolle blieb rosa.  

Mit Gelbflechte gefärbte Wolle, links im Dunkeln getrocknet, rechts im Hellen

Die Farben auf der Wolle sind ziemlich blaß geworden. Man benötigt offensichtlich eine ganze Menge Flechten, um dunklere Farbtöne zu erzielen. Wenn wieder genug von den Bäumen geworfen wird, was in der darauf folgenden Zeit  dann eh verfaulen würde, werde ich den Versuch mit mehr Material wiederholen. Einfach irgendwo runterholen will ich die Flechten nicht, mal davon abgesehen, daß sie unter Naturschutz stehen, sie brauchen Jahre zum Wachsen und die Waldbewohner wollen vielleicht auch etwas davon. 

Das Wetter war dieses Frühjahr kalt und naß, also macht man seine Experimente eben auch in der Küche. In einem Text über „Lost Crops of the Incas“  (2) war mir eine bittere Lupinenart aufgefallen, die tolerant gegen schlechte Böden und Trockenheit ist, ihr eigenes Pflanzenschutzmittel produziert und die man mit spezieller Behandlung eßbar machen kann. Schlechter steiniger Boden und trocken, das ist genau das, was ich hier rings ums Haus habe. 

Andenlupine (Lupinus mutabilis) Quelle: Wikipedia

Die Andenlupine (Lupinus mutabilis), Quechua: Tarwi, in Ecuador: Chocho,  ist eine alte Kulturpflanze aus dem Hochland von Peru und Bolivien, die in vorspanischer Zeit dort weit verbreitet war. Sie ist durch die zeitraubende Prozedur zum Entfernen der Bitterstoffe lange in Vergessenheit geraten, wurde aber in den letzten Jahren wegen ihren hohen Eiweiß- und Fettgehalts in den Samen als einheimische Alternative zu Soja in einigen südamerikanischen Ländern regelrecht „gehypt“. 

Samen der Andenlupine

Die Samen der Tarwi gab es in Deutschland lange nur in spezialisierten Gärtnereien 10 Stück zu teuren Preisen, nicht jedoch in Mengen um sie essen zu können. Dieses Jahr habe ich sie gefunden, gleich ein halbes Kilo (hier). Erstaunlich im Land der Vollkaskomentalität und des Kindergartenniveaus für Konsumenten, die unbehandelten Samen sind gallebitter und giftig, sie enthalten das Alkaloid Spartein, was einen ordentlichen Herzkasper verursachen kann. Der deutschsprachige Aufkleber auf der Packung führt potentielle Köche in die Irre, da steht: über Nacht einweichen und 20 min kochen. Das wird garantiert nichts, man spuckt es beim Probieren gleich wieder aus. Nach dem Kochen kommt die eigentliche Arbeit: die wasserlöslichen Bitterstoffe müssen erst ausgeschwemmt werden. Solange die Tarwi noch bitter sind (Geschmacksprobe: einen Samen zerkauen und am hinteren Zungenrand probieren), sind sie nicht genießbar. 

Da ich nicht glaubte, daß man hierzulande den Leuten unbehandelte Tarwi als Lebensmittel verkaufen darf, habe ich probiert, ob die Samen noch keimen. Das taten sie in feuchtem Küchenpapier auf dem Heizkörper schnell und zuverlässig, die gekeimten Samen habe ich eingepflanzt und als sie groß genug waren in den Garten gesetzt. 

Tarwi-Jungpflanze

Dann habe ich im Internet recherchiert, wie man Tarwis richtig entbittert. Nach einer Anleitung von einer Hausfrau aus Ecuador geht das so: 

1. Tag: Tarwis wie Linsen oder Bohnen über Nacht einweichen

2. Tag: das Einweichwasser wegschütten, Tarwis mit frischem Wasser 0,75 bis  1 h kochen, sie bleiben fest und zerfallen nicht

das Kochwasser wegschütten (oder abkühlen lassen und damit Pflanzen gegen Blattläuse, weiße Fliegen o.ä.  spritzen)

Tarwis mit reichlich frischem Wasser aufgießen, Wasser im Laufe des Tages mehrfach wechseln

3.-5- Tag: dreimal täglich Tarwis durchspülen, das Einweichwasser wechseln und probieren, ob die Samen noch bitter schmecken s.o.

sind die Bitterstoffe raus, können die Samen gegessen werden

Es hat gut funktioniert, die gekochten und entbitterten Tarwis haben eine feste Konsistenz ähnlich wie das Innere von rohen Zuckererbsen und schmecken ein bißchen wie ungekochte Erbsen oder Saubohnen. Man kann damit einen einfachen Salat machen, Cebiche de Chochos, dazu braucht man noch Limettensaft, scharfe Chili, Tomaten, Zwiebeln, Salz und etwas Öl. 

Cebiche de Chochos Quelle: Wikipedia

Nach meiner Erfahrung sind die Tarwis im Salat bekömmlicher als Linsen oder Bohnen, sie haben nicht die berüchtigten Nachwirkungen… 😉

Es gibt im Internet einige Rezeptbücher (auf Spanisch) für die Verwendung der Tarwi-Samen, man kann damit alles machen, was mit europäischen Süßlupinen oder Kichererbsen auch geht: Hummus, glutenfreier Teig für Kuchen, Kekse  und Pizza, Eis, Salate, Eintöpfe und vieles  mehr. 

Ob die Pflanzen hier Ertrag bringen, werde ich im Herbst sehen, es soll je nach Herkunft des Saatgutes erhebliche Unterschiede geben, wie lange es von der Aussaat bis zur Samenreife braucht. Laut Packung sind meine Tarwis aus Peru, wenn sie aus dem kühlen Andenhochland kommen, könnte es gehen.

 

Photo by Los Muertos Crew on Pexels.com

Gewebt habe ich auch etwas, diesmal ohne Muster, mir war nicht danach. In Bolivien gibt es Taschen (ursprünglich für Kokablätter), in denen eine oder mehrere kleine Taschen gleich mit eingewebt sind. Dazu muß man den Teil der Kette länger machen, wo später die zusätzliche Tasche ist. Das ganze ist im Buch von A. Cahlander ausführlich beschrieben (3). 

Normalerweise werden diese Taschen auf einem Horizontalwebgerät (four-stake ground loom) oder auf einem Anlehnewebstuhl hergestellt, da man für die Verlängerung der Kette, die später die kleine integrierte Tasche bildet, zeitweise einen zweiten oberen Kettbaum braucht. Auf einem backstrap-loom muß man sich was einfallen lassen. Die beiden oberen Kettbäume mit Stricken zusammenzubinden wäre eine Möglichkeit, das verrutscht aber gern und es ist schwierig, auf beiden Seiten den gleichen Abstand der Stäbe voneinander einzustellen. Ich habe mir aus Sperrholz zwei Abstandshalter gebaut, die straff auf die oberen Kettbäume passen. Die Kette habe ich direkt auf die Stäbe geschärt, die auf einem Lattengestell festgebunden waren und gleich auf diesem Gestell den unteren Kettbaum mit der Anfangsschnur angebracht. 

Abstandshalter zwischen den oberen Kettbäumen, Mittelteil schon angewebt

Man webt die ganze Kette ein Stück an (ca. 5 cm) und macht dann mit dem Stück in der Mitte weiter, wo die Tasche entstehen soll. Das wird so lang gewebt, wie der Abstand zwischen den oberen Kettbäumen ist, in meinem Fall 15 cm. 

das Mittelteil wird 15 cm lang separat gewebt

Ist man damit fertig, entfernt man die Abstandshalter und den äußeren der zwei oberen Kettbäume. Dann faltet  man das eben gewebte Teil für die Tasche in der Mitte, zieht es zum unteren Kettbaum und näht es dort mit Heftstichen fest. Der obere Kettbaum hält dann alle Schlaufen der Kette und hat noch keine Anfangsschnur, diese wird jetzt angebracht und die Tasche von der Gegenseite einige cm angewebt. Dann dreht man das Webgerät wieder herum und webt von der Oberkante der gefalteten kleinen Tasche die Kette mit Litzenstab und Rolle komplett ab bis es damit nicht mehr geht.

Zum Ende hin wird die Fachrolle langsam zu groß…
…und durch eine kleinere Rolle ausgetauscht

Es bleiben ungefähr 5 cm Kette übrig, die man mit Nadelweben schließen muß. Dazu entfernt man Litzen und Fachrolle, zieht den Schußfaden doppelt auf eine Nadel und schließt mit viel Geduld die Lücke. In einem Durchgang legt man den immer zwei Schußfäden in das gerade aufgenommene Fach, einen oben und einen unten jeweils an die schon gewebten Teile. Damit das Gewebe in der Lücke nicht zu lose wird, drückt man den Schußfaden gut an. 

Zunächst kann man noch den Einlesestab benutzen
die vorletzte Reihe
und die letzte Reihe, hier liegt der Schußfaden doppelt

Das fertig gewebte Stück hat vier feste Seiten, die Tasche habe ich mit einer einfarbigen rundgezogenen Webkante (ribete) zusammengenäht und die Stellen, an denen sich die Anfangsschnuren befinden, damit eingefaßt. Die Seiten der kleinen Tasche sind mit einem Nadelbindestich (cross-knit loop stitch; koptischer oder Tarim-Stich)   geschlossen. 

Fertige Tasche

Hier noch etwas zum Weiterlesen:

(1)   Färben mit Pflanzen

  Dorit Berger

  Ökobuch-Verlag 2006

(2) Lost Crops of the Incas 

Little-Known Plants of the Andes with Promise for Worldwide Cultivation 

National Academy Press
Washington. D.C. 1989

(3) The Art of Bolivian Highland Weaving

Adele Cahlander & Marjorie Cason

Watson-Guptill Publictions 1976